Die kolonialen Wurzeln des Kaffees

 

„Eines der hartnäckigsten Überbleibsel des Kolonialismus ist die Vorstellung, dass Kaffee billig sein sollte.“ (James Harper and Jonathan Morris)


167 Liter Kaffee trinkt jede Person in Deutschland durchschnittlich pro Jahr. Damit ist er neben Wasser das Lieblingsgetränk im Land. Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich Kaffee zu einer Massenware für die breite Bevölkerung in westlichen Industriestaaten. Doch was für die einen zum Genuss wurde, bedeutete für die anderen Leid: Der massenhafte Anbau und der niedrige Preis waren nur durch die strukturelle Ausbeutung von indigenen und versklavten Menschen sowie eine großflächige Zerstörung der Natur möglich. Kaffee ist also mehr als nur ein leckerer Wachmacher – es ist ein Produkt mit einer grausamen kolonialen Geschichte, die bis heute den globalen Kaffeehandel und -konsum prägt.

Der Ursprung des Kaffees
Seinen Namen verdankt das Getränk der äthiopischen Region Kaffa, wo der Kaffeestrauch zum ersten Mal landwirtschaftlich angebaut wurde. Im Laufe des 15. Jahrhunderts breitete sich der Anbau von Kaffee auf die arabische Halbinsel aus. Die Europäer*innen entdeckten die Pflanze relativ spät: Erst im 17. Jahrhundert erreichte die Bohne Europa – die Kolonialgeschichte des Kaffees begann.

Kaffee im Kolonialismus
Die Kolonialmächte brachten die Pflanze in ihre Kolonien, allen voran die Niederlande (Ceylon und Java) und Frankreich (Réunion). Durch großflächigen Landraub zugunsten und Vernichtung riesiger Waldgebiete entstanden große Plantagen in den Händen von reichen Europäer*innen. Zwangsarbeit, Versklavung und Folter waren dort an der Tagesordnung. 1727 brachte Portugal die ersten Kaffeesamen nach Brasilien, das nach seiner Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert zum weltweit größten Produzenten aufstieg. Hauptgrund für Brasiliens rasanten Aufstieg im Kaffeegeschäft waren die günstigen Produktionskosten, die durch die strukturelle Ausbeutung versklavter Menschen möglich waren. Erst 1888 verbot das Land die Versklavung von Menschen. Die versklavten Menschen wurden anschließend jedoch in ähnlich ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen weiter beschäftigt – ihre Nachfahren oft heute noch.

In Zentralamerika wurden nach der Abschaffung der Sklaverei vermehrt indigene Arbeitskräfte eingesetzt, oft unter noch schlechteren Bedingungen. Deutsche Einwanderer dominierten dort das Geschäft, insbesondere in Guatemala, und profitierten von der deutschen Hafeninfrastruktur. Hamburg spielte eine zentrale Rolle im kolonialen Kaffeegeschäft: Die Stadt wurde im 19. Jahrhundert zum europäischen Zentrum des Kaffeehandels, was noch heute sichtbar ist. Große Kaffeeplayer wie Tchibo, Darboven oder die Neumann Kaffee Gruppe haben ihren Sitz in der Hansestadt.

Europäische und US-amerikanische Kaufleute monopolisierten den Kaffeemarkt ab dem 19. Jahrhundert durch ihre privilegierten Zugänge zu Transport- und Finanzmärkten. Deutsche Reedereien und europäische Firmen kontrollierten den gesamten Handelsprozess, von der Ernte bis zu den Abnehmerhäfen. Der Kaffeehandel wurde zunehmend undurchsichtig. Anonyme Netzwerke trennten Produzent*innen und Konsument*innen, was die Ausbeutung verschleierte. Diese Strukturen prägen bis heute den globalen Kaffeehandel.

Das koloniale Erbe des Kaffees
Noch immer gibt es die im Kolonialismus geschaffenen großen Ungleichheiten und Ausbeutungsstrukturen zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden, zwischen Produzent*innen und Konsument*innen. Die Gesellschaften und Unternehmen aus Europa sichern sich auf dieser Basis den Zugang zu den Ressourcen der Gesellschaften im Globalen Süden, für die sie sehr wenig bezahlen und oft große Zerstörung zurück lassen.

Der Konsum
Noch heute wird Kaffee vor allem im Globalen Norden konsumiert, obwohl er ausschließlich in Ländern des Globalen Südens produziert wird. Zu den wichtigsten Anbauländern gehören zum Beispiel Brasilien, Vietnam und Kolumbien. Die größten Konsument*innen sind vor allem die Europäer*innen. Während in den Produktionsländern vor allem Instant-Kaffee (von Nestlé) getrunken wird, gehen die guten Bohnen nach Europa und in die USA, um dort zu hochwertigem Röstkaffee verarbeitet zu werden. Dementsprechend groß ist die Marktmacht US-amerikanischer und europäischer Kaffeekonzerne.

Die Wertschöpfung
Das führt zum zweiten Punkt: Die ungleiche Verteilung der Wertschöpfung ist ein zentraler Grund für die anhaltenden Ungerechtigkeiten im Kaffeesystem. Das Problem: Die Produzent*innen verkaufen den Rohkaffee, die Veredelung (vor allem die Röstung) findet in den Konsumländern statt. In Deutschland wird dieses System unter anderem dadurch abgesichert, dass auf den Import von Röstkaffee hohe Zölle erhoben werden. Der gewinnbringende Wert des Kaffees wird also vor allem im Globalen Norden generiert. Nur ungefähr zehn Prozent der im weltweiten Kaffeemarkt erwirtschafteten Einnahmen bleiben in den Ursprungsländern und nur ein kleiner Teil davon kommt bei den kleinbäuerlichen Produzent*innen an. Während viele Kaffeebäuer*innen kein existenzsicherndes Einkommen erwirtschaften, machen große Kaffeeunternehmen hohe Gewinne. Außerdem haben diese eine große Marktmacht: Nur fünf Handelshäuser kontrollieren etwa 50 Prozent des weltweiten Rohkaffeehandels, zehn Röstereien produzieren circa 35 Prozent des weltweit gerösteten Kaffees.

Der Kaffeepreis
Durch diese Marktstrukturen sind die Kaffeebäuer*innen in der Rolle des Preisnehmers. Das heißt, sie müssen den Preis akzeptieren, den ihnen die Aufkäufer diktieren. Und dieser richtet sich nach den Preisen, die an der Börse verhandelt werden. Im Gegensatz zu großen Unternehmen können sich kleinbäuerliche Kaffeeproduzent*innen allerdings nicht gegen Preisschwankungen absichern und sind den Weltmarktstrukturen ausgeliefert. Spekulationsgeschäfte und andere unfaire Handelspraktiken sind im Börsengeschäft an der Tagesordnung: Niedrige Weltmarktpreise nutzen die Händler*innen zum Beispiel, um ihre Lagerbestände zu erhöhen. Steigen die Preise, verkaufen die Unternehmen den gelagerten Kaffee zum höheren Preis. Das führt dazu, dass die Produzent*innen oft nicht von gestiegenen Preisen profitieren. Abgesehen davon ist der Weltmarktpreis viel zu gering: Berechnungen zeigen, dass der Weltmarktpreis fast immer unter den Produktionskosten der Kleinbäuer*innen lag. Die Folge: geringe Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und meist ein Leben in Armut.

Die Löhne und Einkommen
Die Produzent*innen erhalten oft Löhne und Einkommen unterhalb eines existenzsichernden Niveaus. Das liegt vor allem an der oben beschriebenen Marktungleichheit. Kolumbianische Kaffeebäuer*innen forderten deshalb 2023 in einem Brief an das Europäische Parlament einen Mindestpreis von 10,12 USD/kg. Der Weltmarktpreis liegt weit darunter, zwischen 2015 und 2024 war der Durchschnittspreis 3,12 US-Dollar pro Kilo. Die Folge der niedrigen Preise ist für viele Kaffeebäuer*innen ein Leben in Armut. In Kolumbien bekommen beispielsweise 75 Prozent der kleinbäuerlichen Produzent*innen kein existenzsicherndes Einkommen. 44 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze. Viele Produzent*innen können ihren Erntehelfer*innen keinen Mindestlohn bezahlen.

Diese Aspekte stehen exemplarisch für das gewaltvolle koloniale Erbe des Kaffees. Landraub, Vertreibung oder Umweltzerstörung sind weitere gravierende Probleme im heutigen Kaffeehandel. All diese Dynamiken machen die strukturellen Abhängigkeiten, die ungleichen Besitz- und Machtverhältnisse sowie den dahinterliegenden Rassismus deutlich, die im Kolonialismus entstanden und bis heute den globalen Kaffeehandel ausmachen.


Zum Weiterlesen

Toni Keppeler, Laura Nadolski, Cecibel Romero - Kaffee. Eine Geschichte von Genuss und Gewalt, Zürich 2023.

Jonathan Morris und James Harper - A History of Coffee Podcast – online u.a. hier zu finden

Brot für die Welt / Forum Fairer Handel, Mit bitterem Beigeschmack. Faire Handelspraktiken und existenzsichernde Einkommen – eine Chance für den Kaffeesektor?, Berlin 2022 – online hier zu finden

 
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