Geschichte und Struktur der zapatistischen Kaffeekooperativen

 

Wann und vor welchem Hintergrund wurden die zapatistischen Kaffeekooperativen gegründet?
Die Kaffeekooperativen sind Teil einer ökonomischen Alternative der Zapatistas. Selbstverwaltete Strukturen und Organisationsformen sollen innerhalb der Bewegung zu mehr Unabhängigkeit vom Staat und von kapitalistisch dominierten Wirtschaftsstrukturen beitragen. Gleichzeitig möchten die Zapatistas für ihre Produkte gerechtere Preise erzielen. Zahlreiche Zapatistas waren bereits vor 1994 in Kooperativen organisiert und das Wissen, durch kollektive Organisierung höhere Preise fordern und erhalten zu können, basiert unter anderem auf diesen Erfahrungen. So verwundert es nicht, dass im Sommer 1996 auf dem ersten interkontinentalen Treffen „Encuentro Intergaláctico“ (1. Intergalaktisches Treffen) in Chiapas, zu dem die Zapatistas weltweit eingeladen hatten, die Weichen zur Gründung der ersten zapatistischen Kaffeekooperative gestellt wurden. Dort formulierten die Zapatistas, dass sie ihre Waren zu einem gerechten Preis verkaufen wollen.

Der Preis für Rohkaffee war Ende der 1990er Jahre sehr niedrig. So fingen zapatistische Kaffeebäuer*innen an, sich Wissen über den Export von Rohkaffee anzueignen und sich zu organisieren.

1997 wurde die erste zapatistische Kaffeekooperative Mut Vitz („Berg der Vögel“ auf der indigenen Sprache Tzotzil) gegründet. Im gleichen Zuge wurden Abnehmer*innen gesucht, die in solidarischen und langfristig angelegten alternativen Handelsstrukturen direkt den Kaffee abnehmen würden. Die ersten Säcke zapatistischen Rohkaffees wurden 1998 in die USA exportiert, 1999 wurde zum ersten Mal Rohkaffee nach Europa (Deutschland und Schweiz) verladen.

Um einen gerechteren und höheren Preis für ihren Rohkaffee zu erhalten, wurde entschieden, ohne „coyotes“ (Zwischenhändler*innen) zu verkaufen. Die coyotes hatten den Kaffee nicht nur oftmals zu niedriger als marktüblichen Preisen gekauft, sondern unter anderem auch mit falschen Gewichten gearbeitet. Die Organisierung in Kooperativen hingegen verschafft größere Sicherheit und Transparenz für die Produzierenden. Ein Kooperativenmitglied kommentierte dies wie folgt: „Bis wir die Kooperative gegründet haben, wussten wir nie, wohin unser Kaffee überhaupt geht, was damit gemacht wird. Wir wussten nicht, dass er bis nach Europa transportiert wird und kannten uns auch nicht mit den Preisen aus. Aber nun können wir schreiben, lesen und rechnen und lassen uns nicht mehr übers Ohr hauen. Mittlerweile haben wir viel vom Kaffeeexport gelernt.“

1998 wurde als zweite Kaffeekooperative Yachil Xojobal Chulchán (Tzotzil für “Neues Licht des Himmels“) gegründet. 2001 folgte Yochin Tayel K'inal (Tzeltal für „Wir kommen, um die Erde zu bearbeiten“) und 2005 entstand Ssit Lequil Lum (Tzeltal für “Frucht der guten Erde“). Mut Vitz verlor 2006 ihre Exportgenehmigung und löste sich daraufhin auf. Ssit Lequil Lum musste 2014 schließen, die ehemaligen Kooperativenmitglieder können aber über andere Wege Rohkaffee exportieren.

Vor allem in der Erntezeit ist der arbeitsintensive Kaffeeanbau nur mit Hilfe der ganzen Familie zu bewerkstelligen. Der Kaffeeanbau ist für die Familien eine wichtige, oft die einzige Einnahmequelle für Geldmittel. Den größten Teil der Lebensmittelversorgung erarbeiten die Menschen in den zapatistischen Gemeinden in Subsistenzwirtschaft. Dennoch benötigen sie für Anschaffungen, Fahrtkosten und so weiter auch Geld. Der Kaffeeanbau stellt für sie eine emanizipatorische Alternative dar. So müssen sie nicht in den „maquiladoras“ (Billiglohnfabriken), in der Tourismusindustrie oder als zumeist papierlose Migrant*innen in den USA schuften.

Interne Organisationsstrukturen der Kaffeekooperativen
Wie auf allen Ebenen der Organisierung zapatistischen Lebens (auf Dorf-, Gemeinde-, Landkreis- und Zonen-Ebene) werden auch alle Tätigkeiten rund um die Kaffeekooperativen ehrenamtlich ausgeführt. Das System des „cargo“ (Spanisch für „Amt“ oder auch „Last“) ist der unvergütete Einsatz der eigenen Arbeitskraft für die Gemeinschaft. Es geht auf die kollektiven Strukturen der indigenen Gesellschaftsweisen zurück. Für die Zapatistas stellt das cargo-System ein grundlegendes Element für Mitbestimmung und die Einbeziehung Aller beim Aufbau ihrer Autonomie dar.

Wie bei allen cargos üblich, werden die cargo-Inhaber*innen der Kaffeekooperativen für eine bestimmte Zeit in ihr Amt gewählt. Eine Wiederwahl ist möglich. Sie sind ausführend tätig und setzen die Entscheidungen der Kooperativenmitglieder um. Sollten sie ihr Amt nicht zur Zufriedenheit der Mitglieder ausüben, sind sie jederzeit abwählbar. Dies basiert auf den vielfältigen negativen Erfahrungen mit Korruption und Amtsmissbrauch. Auch in früheren Kooperativen, in denen Zapatistas vor 1994 organisiert waren, gab es solche Vorfälle, so dass eine Kontrolle seitens der Basis groß geschrieben wird.

Die Vorstände der Kooperativen übernehmen Verwaltungs- sowie Exportaufgaben. Des weiteren gibt es zahlreiche andere Aufgaben wie etwa die Umsetzung von Bio-Anbau-Kriterien, Schulungen und Qualitätskontrollen. Es braucht viele Leute, um eine Kooperative mit all ihren Arbeitsbereichen am Laufen zu halten. Häufig übernehmen Zapatistas diese Aufgaben ohne jegliche Vorkenntnisse und müssen zunächst die Arbeit mit Computern, behördlichem Papierkram und so weiter erlernen. Der Vorstand wird alle zwei bis drei Jahre neu gewählt. Es gibt eine Übergabezeit von einem halben Jahr, in welcher der scheidende Vorstand den neu gewählten in alle Abläufe einarbeitet. Der große Vorteil des Rotationsprinzips ist, dass viele Personen die Arbeit der Kooperativen kennenlernen. Andererseits bedeutet die Einarbeitung auch einiges an Extra-Arbeit.

Auch die übrigen Mitglieder der Kooperative haben cargos: Sie leisten freiwillige Arbeit im Gesundheits-, Bildungs- oder Verwaltungsbereich und bestellen nebenbei ihr Land, auf dem sie die Grundnahrungsmittel (vor allen Dingen Bohnen und Mais) anbauen.

Wie alle Zapatistas sind auch die Mitglieder der Kaffeekooperativen der Repression von Militärs ausgesetzt und insbesondere durch Aggressionen von Paramilitärs bedroht. So kann es zur Zerstörung von Arbeitsmitteln, Vergiftung oder Blockieren von Wasserzufuhr, Besetzung oder Zerstörung von (Kaffee-)Feldern kommen.

Kleine Erfolgsgeschichte
Seit Beginn der zapatistischen Kaffeekooperativen ist die Anzahl solidarischer Menschen, die ihren Kaffee importieren und trinken, stark angestiegen. Viele Tonnen Rohkaffee sind an solidarische Gruppen und Kooperativen in den USA und europäischen Ländern exportiert worden – so etwa nach Italien, Frankreich, Schweiz, Schweden, Finnland, Deutschland, Griechenland und Spanien.
2022 wurden etwa 2.800 Sack Rohkaffee exportiert. Das sind circa 190 Tonnen oder auch 12 Container Rohkaffee. Wenn es nach den Kaffeetrinkenden ginge, könnte es gerne auch noch mehr werden, denn seit einigen Jahren gibt es mehr Nachfrage als die Kooperativen anbieten können.

Darüber hinaus haben die Kooperativen mit dem Verkauf von eigenem Röstkaffee in Mexiko begonnen. Dies wollen sie weiter vorantreiben.

 
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